Geschichte der Partnerschaft Sorgues-Wettenberg

 

Nachdem die Wunden den letzten großen Krieges auf europäischem Boden zu heilen begannen und der politisch geteilte Kontinent sich aufmachte, die Zukunft tatkräftig zu gestalten, sie nicht dem Zufall zu überlassen, da griff unter den Menschen in Frankreich und Deutschland eine neue Idee:
Das, was die Staatsmänner auf höchster Ebene tun, das wollen wir auch an der Basis realisieren - Abkehr von dem Irrglauben, im jeweils anderen Land lebten die Erzfeinde.

Die Städte machten vielerorts den Anfang; so wie in unserem konkreten Fall Avignon in der Provence und Wetzlar in Mittelhessen, bis 1976 die Krofdorf-Gleiberger Kreisstadt. Die Stadt des Theaterfestivals und die Stadt der Industriefestspiele - sie rückten einander näher. Seit 1958 sind sie verschwistert.

Das Beispiel machte Schule. Auch Krofdorf-Gleiberger Kommunalpolitiker gingen auf Brautschau und wurden ein paar Kilometer südwestlich von Avignon, im Nachbardepartement Gard, fündig: Calvisson hatte man sich "ausgeguckt", einen idyllischen Marktflecken unweit von Sommieres und Lunel. 1964 besuchten wechselseitig Jugendliche aus beiden Orten, zwei Jahre später sollte dann eigentlich in die Partnerschaft eingestiegen werden. Doch Unwägbarkeiten, Irritationen und ein Bürgermeisterwechsel im Land unter der Sonne ließen 1968 letztgültig alle Planungen platzen.

Die Verantwortlichen mit dem noch jungen Bürgermeister Günter Feußner an der Spitze ließen nicht locker, erbaten sich von den Wetzlarer Freunden und deren Verbündeten weitere Vorschläge: L'Isle sur la Sorgue östlich von Avignon, einen Steinwurf entfernt vom Luberon, und Vaison-la-Romaine am Mont Ventoux ließen bitten. Doch die Bräute waren zu stolz. "Donc ne perdez pas courage", schrieb ein Mittelsmann aus Avignon 1970 an die enttäuschten Krofdorfer Freier.


Wieder ein Jahr später, rief man aus dem Wetzlarer Rathaus
1. Begegnung im Herbst 1971 mit Bürgermeister Marin, Roland Rampal, Mme. Marin, Bürgermeister Feußner uns Walter Fabel
in der Krofdorfer Bürgermeisterei an: Aus Sorgues bei Avignon habe sich eine Delegation angesagt, um im Umland der Domstadt potentielle Partnerschaftskandidaten zu begutachten. Die Delegation? Bürgermeister Fernand Marin mit Ehefrau Claude plus Roland Rampal, politischer Beamter in Avignon, und Marie-Dominique, dessen Frau aus Sorgues. Der Besuch beim Herbstball des Gesangvereins 1842 Krofdorf am 30. Oktober1971 war ausschlaggebend: Den Gästen gefiel es rundum - und sie verzichteten darauf, auch Waldgirmes und Burgsolms in Augenschein zu nehmen.

Es war, wie es später immer wieder hieß, Liebe auf den ersten Blick.


Die Kommunalpolitiker bauten beidseits vor allem auf die örtlichen Vereine; sie sollten der Grundstock für Begegnungen sein. Zudem wurde, noch vor der eigentlichen Verschwisterung,
Erster Schüleraustausch 1972 in Korofdorf-Gleiberg: Auf dem Bild sind unter anderem Günther Schorsch, Otto Rüspeler, Hans Weidler, Wilhelm Heuser, Bürgermeister Günter Feußner und Manfred Priemer zu sehen.

Ostern 1972 und im Juli desselben Jahres ein Jugendaustausch ins Leben gerufen. Ebenfalls bereits "in medias res" gegangen waren die Tischtennisspieler aus beiden Ortschaften.

Besonders zu erwähnen ist an dieser Stelle die Rolle der "Anciens combattants" aus Sorgues mit Louis Versepuy an der Spitze und des VdK-Ortsverbandes: Kriegsteilnehmer, Kriegsverletzte und Kriegshinterbliebene reichten einander die Hand zur Aussöhnung, brachten sich und ihre Erfahrungen in die Partnerschaft ein.

Die offizielle Partnerschaftsfeier fand am 1. Oktober 1972 in der Krofdorfer Turnhalle statt. Die Rückverschwisterung war für den 29. April 1973 in Sorgues terminiert.
Verschwisterungsfeier in Sorguesl


Begleitet war das Geschehen von echter Begeisterung, getragen von einer überall spürbaren Sympathie. Beide Partner bewahrten sich ihren guten Geist: Immer mehr Menschen öffneten ihre Häuser und Türen, wenn es hieß, Quartiere bereitzustellen für Gäste - hier wie dort. Es war, als wollte die emotionale Woge der ersten Nacht nicht abflauen...

Das nächste Jumelage-Kapitel darf man sich auf der Zunge zergehen lassen: Mehr als 250 (!) Menschen aus Sorgues reisten im Sommer 1974 zur 1200-Jahr-Feier in Krofdorf-Gleiberg an, waren allesamt privat untergebracht, beteiligten sich am historischen Festzug. Es war, als wollte die 1972 Hochzeit nicht zu Ende gehen.

Sorgues stand dem nicht nach: Ostern 1975 fuhr ein Sonderzug (!) mit 300 (!) Krofdorf-Gleibergern gen Süden. Längst war das keine Partnerschaft der "Offiziellen" mehr, wenn sie so etwas überhaupt je war. Die Pingpong-Leute behielten den Pfingstermin bei. Nun kamen Folkloristen hinzu und weitere Sportler, im Lauf des Jahres zudem die Wettenbergschule, deren Austausch schon 1975 die Jugendbegegnungen abgelöst hatte.

Als wenn nicht schon genug Perlen auf der Kette gehangen hätten, reihten sich 1976 der Gesangverein Krofdorf und der Choral "Amista" Sorgues ein.

Während der Lahnstadt-Jahre ging die Schlagzahl ein wenig zurück. Mit der neuen Eigenständigkeit
Aus der Straße "An der Stühl" wurde im Sommer 1980 der "Sorguesplatz"

unter dem Wettenberg-Signet im Rücken, fuhren 300 Wettenberger zu Pfingsten 1980 nach Sorgues: Stadion-Einweihung, Sportler- und Folkloristen-Begegnungen standen auf dem Programm, zudem die Ausweitung der Partnerschaft auch auf Wißmar und Launsbach.

Als 1982 zum zehnjährigen Bestehen erstmals Bilanz gezogen wurde, durften die Verantwortlichen zufrieden sein. Sie hatten alles Menschenmögliche getan, um die Jumelage mit Leben zu erfüllen. Das war ihnen - die Zahlen belegten dies - rundum gelungen. Der allerwichtigste Aspekt hierbei: Die Partnerschaft hatte das Leben zahlloser Bürger aus Wettenberg und Sorgues bereichert - und sie tat es weiterhin.

1984, 1987, 1989, 1992 usw. - alle paar Jahre "große" Begegnungen, ansonsten jährlich wechselseitige Treffen vor allem von Sportlern und Folkloristen. Der Wechsel der politischen Mehrheit in Sorgues und an der Spitze der Stadt - auf den Kommunisten Fernand Marin folgte der Chiracist Dr. Alain Milon (RPR) - sorgte vorübergehend für ein paar Irritationen "an der Basis". Unsererseits machte Gerhard Schmidt, als er 1986 für Günter Feußner zum Bürgermeister gewählt wurde, von Anfang an deutlich, dass ihm der Fortbestand der Partnerschaft eine Herzensangelegenheit sei - aber eine politische Passion freilich auch.

(Fortsetzung folgt in Kürze)