Dokumentation "Sorgues 18. August 1944" vorgestellt

Das Thema verliert nicht an Aktualität: Am Tag nach der eindringlichen Rede von Papst Benedikt in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau ("Das Vergangene ist nicht bloß vergangen. Es geht uns an!") stellten Gemeinde Wettenberg, Deutsch-Französische Gesellschaft Krofdorf-Gleiberg und Wettenbergschule gestern in der Schule die Dokumentation "Sorgues 18. August 1944" vor. Dieser Tag war nicht wie jeder andere in der von deutschen Soldaten besetzten Kleinstadt bei Avignon: Von Chateauneuf-du-Pape her kommend - eigentlich von Roquemaure am anderen Ufer der Rhône - schleppte sich ein Zug von etwa 700 ausgemergelten Menschen durch den Ort, darunter rund 70 Frauen, bewacht und angetrieben von Feldgendarmen. Am Bahnhof wartete auf sie ein neuer Zug, zusammengestellt auf Befehl der Gestapo. Destination: Dachau! Ravensbrück! Mauthausen!

Nahezu 45 Jahre später erst nahmen Zeitzeugen von damals ihre Erinnerungen auf: Wer waren sie? Woher kamen sie? Wohin gingen sie? Man rief Überlebende oder die Nachfahren der Ermordeten zusammen, schrieb deren Erzählungen in einem Buch nieder, setzte ein mahnendes Denkmal - am Bahnhof, in unmittelbarer Nähe zur Place Wettenberg.

Wettenberg - Sorgues' deutsche Partnergemeinde seit 1972 - blieb außen vor; womöglich um die im Zuge der "Aussöhnung" neu gewonnenen Freunde nicht zu kompromittieren. Doch die Geschichte von "Le Train Fantôme - Toulouse, Bordeaux, Sorgues, Dachau" zog Kreise, beschäftigte von 1997 an die Deutsch-Französische Gesellschaft, den Wettenberger Partnerschaftsverein, und schnell auch die Wettenbergschule. Maßgeblich motiviert auch durch Jürg Altweggs Buch "Geisterzug in den Tod - Ein unbekanntes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte 1944; erschienen 2001. Gemeinsam mit der Gemeinde wurde daraus ein Unterrichtsprojekt und letztlich einer neuer historischer Unterbau für die "Jumelage".

Diese Broschüre dokumentiert die Spurensuche zwischen 1997 und 2005, den Umgang der Wettenberger und ihrer Freunde in der Provence mit einer auch für sie überraschenden Öffnung der Geschichte. 2002 erhielt die Wettenbergschule für ihre Arbeit einen ersten Preis des Kreises Gießen beim "Projektwettbewerb gegen rechte Gewalt". Und jüngst erst anerkannte die Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart die Arbeit der Schüler im Rahmen der Ausschreibung "Preis für bürgerschaftliches Engagement in deutsch-französischen Städte- und Gemeindepartnerschaften".

Das 64-seitige Heft beginnt beschreibt das Geschehen 1944 in Sorgues, es skizziert die Bedeutung der Jahrzehnte später aufgenommenen Spurensuche für die Partnerschaft, belegt die Inhalte der Unterrichtsprojekte 2002 und vor allem 2005 - Neunt- bzw. Zehntklässler bewältigten einen Stoff, der selbst für Oberstufenschüler eine Herausforderung ist -, und es zeigt, welche Rolle die Wettenberg-Arbeit im internationalen Netzwerk gegen das Vergessen einnimmt. In Zuneigung und Dankbarkeit gedenken die Autoren verstorbener Weggefährten: Helga Meyer-Jaeger, Marc Brafman, Max Pierredon. Und sie listen die Personen und Institutionen auf, ohne deren förderndes Zutun die Spurensuche unmöglich gewesen wäre.

Bei der Vorstellung gestern lobten Direktor Andreas Jorde, Pädagogischer Leiter Achim Schwarz-Tuchscherer, Bürgermeister Gerhard Schmidt, Projektpatin Monika Graulich und DFG-Vorsitzender Norbert Schmidt die Leistungen der Schülerinnen und Schüler ebenso wie die der Lehrer Gertrud Ritscherle, Mirka Pesek und Gerhard Kohler. "Ja, ich konnte unmöglich nicht hierher kommen!", hatte Papst Benedikt am Vortag in Auschwitz gesagt. "Ja, wir haben uns auf die Spurensuche begeben müssen", hieß es gestern. Es sei eine Pflicht gewesen, nach Kenntnisnahme des Geschehens vom 18. August 1944, der Wahrheit in die Augen zu schauen, sie vor dem Vergessen zu bewahren.

Erhältlich ist das Heft vom 1. Juni an im Bürgerbüro der Gemeindeverwaltung am Sorguesplatz in Wettenberg. Mitglieder des Partnerschaftsvereins erhalten ein Exemplar mit dem Infobrief "A bientôt" im Juli..

Einen Auszug aus der Broschüre, der die Arbeit von Robert Silve, dem Initiator der "Train Fantôme"-Geschichtsforschung, im gesamthistorischen Kontext darstellt, finden Sie hier ..

Am Heft Interessierte wenden sich bitte an den Vorstand